Sonntag, 11. Dezember 2011
Freiheit: Strukturform allen Seins
In 'Einführung in das Christentum' schreibt Josef Ratzinger 1968 auf Seite 145f (Weltbild Lizenzazsgabe 2007):

Damit erklärt sich zugleich der Kern des Schöpfungsbegriffs: Das Modell, von dem aus Schöpfung verstanden werden muss, ist nicht der Handwerker, sondern der schöpferische Geist, das schöpferische Denken. Zugleich wird sichtbar, dass die Freiheitsidee das Kennzeichen des christlichen Gottesglaubens gegenüber jeder Art von Monismus ist. An den Anfang allein Seins stellt er nicht irgendein Bewusstsein, sondern eine schöpferische Freiheit, die wiederum Freiheiten schafft. Insofern könnte man in einem höchsten Maße christlichen Glauben als eine Philosophie der Freiheit bezeichnen. Für ihn bedeutet nicht ein allumfassendes Bewusstsein oder eine einzige Materialität die Erklärung des Wirklichen insgesamt; an der Spitze steht vielmehr Freiheit, die denkt und denkende Freiheiten schafft und so Freiheit zur Strukturform allen Seins werden lässt.

Welche Konsequenz hat das? Auf Seite 147f fährt er fort, nachdem er noch einmal die Wasserscheide zwischen Christentum und Idealismus zieht:

Die Folgen sind sehr weit tragend. Denn das führt ja dazu, dass die Freiheit gleichsam als die notwendige Struktur der Welt erscheint, und dies wieder heißt, dass man die Welt nur als unbegreifliche begreifen kann, dass sie Unbegreiflichkeit sein muss. Denn wenn der oberste Konstruktionspunkt der Welt eine Freiheit ist, welche die ganze Welt als Freiheit trägt, will, kennt und liebt, dann bedeutet dies, dass mit der Freiheit, die Unberechenbarkeit, die ihr innewohnt, wesentlich zur Welt gehört. Die Unberechenbarkeit ist ein Implikat der Freiheit; Welt kann - wenn es so steht - nie vollends auf mathematische Logik zurückgeführt werden.

Hier ist also eine ganz andere Interpretation der Unbestimmtheitsrelation angesprochen. Oft wird diese ja als Beleg des Zufalls als bestimmende Größe der Welt angeführt, doch es ist vielmehr und eigentlich die Freiheit, die hier als Grundstruktur des Weltkonstruktion zum Tragen kommt.

Freilich: Mathematische Logik kann - wenn sie diese prinzipielle Unbestimmtheit in der Welt gelten lässt - sehr wohl auch diese Freiheit einbeziehen und mit ihr umgehen. Nur können eben nicht mehr bis ins letzte alle Dinge kalkuliert werden. An ihrer Stelle treten Wahrscheinlichkeitsaussagen und superponierte Zustände. Da aber solche Wahrscheinlichkeitsaussagen wieder sehr genau im Experiment nachvollzogen werden können, zeigt sich, dass die Unbestimmheit des Einzelteilchen/der Welle eben nicht Ausdruck eines Zufalls, sondern letztlich doch einem Konstruktionsprinzip unterworfen ist, das Ratzinger in dieser frühen Schrift als Freiheit identifiziert.

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Ratzinger: Einführung in das Christentum
Zur Zeit lese ich mit großem Gewinn das Buch 'Einführung in das Christentum' von Josef Ratzinger, dem heutigen Papst Benedikt XVI.

Für mich als Christen, der sich auch für philosophische Themen interessiert, gibt es dabei tiefe Einsichten zu gewinnen.

Aber auch im Rahmen dieses eher naturwissenschaftlich orientierten Blogs werden dort dermaßen weitreichende und tiefgehende Verknüpfungen gezogen, dass ich hier darüber nach und nach berichten möchte...

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