Montag, 3. September 2012
Klimawandel aus historischer Sicht
Mal eine viel differenziertere Sicht zur allgemeinen Klimawandel-Hysterie bringt welt.de:

Mittlerweile haben wir uns an die Konjunkturen des Weltuntergangs gewöhnt. Wenn der Winter eisig ist oder der Sommer kühl und verregnet, dann gehen die Klima-Alarmisten in Deckung. Erst im Hochsommer, mit Beginn der Waldbrände im Mittelmeerraum und dem Anbruch der Hurrikan-Saison in der Karibik fühlen sie sich wieder zu volkspädagogischen Aktivitäten ermuntert.

Kommt der alljährliche Bericht über die sommerliche Eisschmelze in der Arktis heraus, gibt es kein Halten mehr. Nach dem Hurrikan "Katrina" hieß es, jedes Jahr werde es jetzt mehr und größere tropische Wirbelstürme geben. Die globale Erwärmung führe zu einer zunehmenden Erhitzung der Ozeane, dies bilde den Motor für immer stärkere Wirbelstürme, das sei nur logisch.

Dummerweise folgte die Natur dieser Logik nicht, "Katrina" blieb in seiner Vernichtungskraft einmalig, wohl nicht zuletzt aufgrund der Dammbrüche in New Orleans. Wenn man eine Stadt aber vier Meter unter dem Meeresspiegel baut, dann darf man mit entsprechenden Katastrophen rechnen. Bereits in einem Blues aus den 1920er-Jahren hieß es: "When the levee breaks…".

Entgegen den Weltuntergangsszenarien gab es seit 2007 immer weniger Hurrikans. Jetzt hieß es etwas vorsichtiger, in Zukunft werde es vermutlich weniger tropische Wirbelstürme geben, doch diese fielen dafür besonders schlimm aus. Ein interessantes Argumentationsmuster: Die Prognose war falsch, aber wir haben trotzdem recht...

In der Nomenklatur der Geologie ist eine "Warmzeit" dadurch definiert, dass die Pole komplett eisfrei sind. Nach dieser Terminologie leben wir seit einigen Millionen Jahren in einer Eiszeit. Auch innerhalb der Eiszeiten wechseln sich nach Ausweis der Gletscherforschung ständig wärmere und kältere Perioden ab.

Nach der Theorie des serbischen Geophysikers Milutin Milankowitsch basieren diese Fluktuationen auf den zyklischen Schwankungen der Umlaufbahn (Exzentrizität, Obliquität und Präzession) der Erde um die Sonne. Die langen Zyklen – heute Milankowitsch-Zyklen genannt – dauern etwa 100.000 Jahre. Nur etwa der zehnte Teil dieser Zyklen war innerhalb der letzten Million Jahre relativ warm. In so einem Interglazial – einer "Zwischeneiszeit" – leben wir seit etwa 10.000 Jahren...

Die globale Erwärmung des Holozäns hat aufgrund der Eisschmelze nicht nur solche Landbrücken zum Verschwinden gebracht, sondern sie hat das Sesshaftwerden der Jäger und die Entwicklung der Landwirtschaft ermöglicht. Alle menschliche Zivilisation, wie wir sie heute kennen, mit Landwirtschaft, Urbanisierung, Wissenschaft und Industrie, wurde erst ermöglicht durch diese lang anhaltende globale Erwärmung.

Anders als Max Frisch meinte, erschien zwar nicht der Mensch im Holozän, denn die Entwicklung des Homo sapiens nahm doch etwas länger in Anspruch – wohl aber alle höhere Zivilisation. Ohne Warmzeiten wären wir bei all unserer Wissenschaft und Technik kaum lebensfähig.

Dazu zwei Beispiele: Vor etwa zwölfhundert Jahren fanden die norwegischen Wikinger im Westen eine Insel, die so kalt war, dass man dort keine Landwirtschaft betreiben konnte. Sie nannten sie das "Eisland". Doch während der "hochmittelalterlichen Warmzeit" – also etwa vom Jahr 1000 an - hatten sich die Bedingungen verändert: Zwar wuchsen auf Island immer noch keine Bäume, aber doch Gras und Büsche, man konnte Ackerbau und Viehzucht betreiben. Nun begann die große isländische Landnahme.

Wenig später entdeckten Wikinger noch weiter im Westen eine große grüne Insel. Auch "Grönland" wurde besiedelt, die Hauptsiedlung im Süden bekam einen römisch-katholischen Bischof. Und wagemutige Seefahrer entdeckten noch weiter im Westen Land, aus dem man Baumstämme und Weinbeeren beziehen konnte: "Markland" und "Vinland", das spätere Amerika. Dessen Besiedelung scheiterte allerdings am Widerstand der "Skraelinger", wie die Wikinger die späteren Indianer nannten...

Zu den Axiomen der Alarmisten unter unseren Klimaforschern gehört seit Jahren die Lehre, dass die globale Erwärmung unzulässigerweise das Gleichgewicht der Natur verändere und dass sie um jeden Preis verhindert werden müsse, weil sie "menschengemacht" (anthropogen) sei. Teil der Eschatologie war die Gegenüberstellung von "Adaptation" (Anpassung) und "Mitigation" (Schadensbegrenzung), die schließlich zum Kyoto-Abkommen mit seiner Politik der Reduktion der Treibhausgasemissionen und dem Abgaszertifikatehandel geführt hat...

Doch die meisten Menschen nehmen die Nachrichten von der globalen Erwärmung gelassen und versuchen, sich anzupassen und das Beste daraus zu machen. Deutsche Winzer freuen sich, dass sie mehr gehaltvolle Rotweine produzieren können.

Dass der Meeresspiegel in hundert Jahren um einige Dezimeter steigen dürfte, treibt niemanden wirklich in die Verzweiflung. Viele Küstenstädte planen heute schon höhere Deiche. Das Abschmelzen des Grönlandeises, wenn es denn so weit käme, dürfte nach Ansicht von Glaziologen mehrere Jahrhunderte dauern.

Die gesamte Arktis spielt aber gar keine so große Rolle. 90 Prozent des Eises und 70 Prozent des Süßwassers der Erde sind im antarktischen Eisschild gebunden, und bei diesem ist man uneinig, ob es nicht gerade wächst. Bei minus 82,5 Grad Celsius auf der antarktischen Hochebene scheint zumindest dem Laien die Gefahr der Eisschmelze selbst bei einer leichten Erwärmung relativ gering.

Solange es auf der Erde wärmer wird, ist das eher eine gute Nachricht. Wenn das Holozän zu Ende ginge, wie man in den 1960er Jahren nach einigen kalten Jahren schon einmal geglaubt hat, dann könnten wir wirklich den Blues bekommen. Die meisten Naturwissenschaftler sind heute davon überzeugt, dass es einen anthropogenen Anteil an der globalen Erwärmung gibt, und zumindest in den letzten fünfzig Jahren globaler Industrialisierung erreichte der Verbrauch fossiler Energien beachtliche Größenordnungen.

Der Nobelpreisträger für Atmosphärenchemie Paul Crutzen meint aber, dass menschlicher Einfluss schon sehr viel länger wirksam sei, nämlich bereits seit dem Beginn von Ackerbau und Viehzucht vor über 8000 Jahren. Und der Paläoklimatologe William F. Ruddiman glaubt, dass das Ende des Holozäns bereits seit Langem angebrochen sei und lediglich maskiert werde durch die anthropogene Erderwärmung. Bei allem Konsens über die Erwärmung bewegt man sich bei ihrer Interpretation offenbar auf dünnem Eis.



Zum Autor:
Der Historiker Prof. Dr. Wolfgang Behringer lehrt Frühe Neuzeit an der Uni Saarbrücken. 2007 erschien seine "Kulturgeschichte des Klimas" im CH. Beck-Verlag.

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